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    High Camp – Norwegens ganz besonderes Skitourenfestival

    Tom Hill
    Tom Hill

    Unser Autor Tom Hill begibt sich auf Spurensuche, um herauszufinden, was das High Camp – ein Skitourenfestival in den Bergen Norwegens – so unglaublich einzigartig macht und warum das Festival auch nach 20 Jahren immer noch so angesagt ist. Dafür sprach er mit Vertretern der Sponsoren Norrøna und GORE-TEX, der Organisatorin von Fri Flyt und nicht zuletzt auch mit gemeinsamen Bekannten.

    „Du warst also schon mal beim High Camp dabei?“, frage ich Ragnar, während ich seiner Aufstiegsspur folge. „Oh ja. Praktisch bei allen!” Unser Gespräch war so eigentlich nicht geplant. Ragnar Tøndel sollte in dieser Geschichte ursprünglich gar nicht vorkommen. Dass es dazu kam, ist zum Teil purer Zufall und steht zum Teil sinnbildlich für die kleine, solidarische Gemeinschaft der norwegischen Skitourengeher. Innerhalb von einigen wenigen Wochen begann ich zu verstehen, was das High Camp so besonders macht. Aber ich sollte vielleicht von vorn beginnen ...

    Das erste Skitourenfestival der Welt?

    © Martin I. Dalen & Brynjar Tvedt

    Es ist Mitte März und ich warte darauf, dass Inge Sander – verantwortlich für das Account Marketing von Gore in Skandinavien – in Oslo meinen Zoom-Anruf annimmt und mir einige Hintergrundinformationen zum Festival verrät. Als Brite, der noch nie eine Skitour gegangen ist, hatte ich natürlich auch noch nie vom High Camp gehört, obwohl es in Norwegen so beliebt und wahrscheinlich das älteste Skitourenfestival der Welt ist.

    „Das High Camp gibt es jetzt schon seit 20 Jahren. Es ist der Treffpunkt schlechthin für die norwegische Tourengeher-Community. Tagsüber gibt es geführte Skitouren, Technik-Kurse und Expertentipps, man kann Ausrüstung und Bekleidung testen oder einfach sein Ding machen. Abends trifft man sich dann zu Filmvorführungen, Vorträgen und Musik. Es kommen hier die unterschiedlichsten Leute zusammen. Komplette Anfänger sitzen Schulter an Schulter mit den Superstars der Szene.“

    Gegen Ende des Gesprächs erzähle ich, dass ich in ein paar Tagen zu Freunden nach Norwegen reisen werde, um meine erste Skitour zu gehen. „Oh, du kennst Ragnar? Bei ihm bist du in den besten Händen! Er ist ein guter Freund von mir!“ Wie klein die Welt doch manchmal ist ... Bevor es aber mit meiner Einweisung in den Skitourensport richtig losgeht, gibt mir Inge noch die Kontaktdaten von zwei weiteren High Camp-Kennern.

    Lisa Kvålshaugen Bjærum erreiche ich in ihrem Büro bei Fri Flyt. Das Medienhaus Fri Flyt gibt Zeitschriften und Bücher heraus und ist Organisator des High Camp. Ein Großteil der Verantwortung für die Organisation des Events liegt bei Lisa. Tatsächlich gibt es inzwischen mehr als ein High Camp pro Jahr und Lisa befindet sich gerade im Endspurt zur Organisation des ersten Festivals 2022, das zugleich das erste seit Beginn der Pandemie sein wird. „Ja, das High Camp in Turtagrø ist das ursprüngliche Festival. Es findet immer Anfang Mai statt, und das nun schon seit 2001. Der Zulauf ist immens. Da wir es jedoch nicht weiter vergrößern können, veranstalten wir inzwischen oft noch andere High Camps an anderen Orten. Eine neue Location für uns ist Vatnahalsen, ein kleiner Ferienort in den Bergen, der nur per Zug zu erreichen ist, was für eine ganz besondere Atmosphäre sorgt.“

    Etwas Besonderes

    © Martin I. Dalen & Brynjar Tvedt

    „Egal wo es stattfindet, was das High Camp meiner Meinung nach so besonders macht, ist die Atmosphäre“, erklärt Lisa. „Sie ist total freundschaftlich. In Turtagrø gibt es nur ein kleines Hotel, weshalb die meisten Leute zelten. In der Mitte steht ein großes Festival-Zelt, in dem sich alles abspielt. Dort kann man Leute treffen, etwas essen oder abends Party machen.“

    Sowohl Lisa als auch Inge erzählen mir, dass sich das Teilnehmerspektrum in den letzten Jahren etwas verändert hat und dass heute vergleichsweise mehr Neulinge dabei sind als früher. Für Lisa spiegelt dies die zunehmende Popularität des Skitourensports in Norwegen wider. Denn selbst in einem Land, in dem der alpine Bergsport zu Hause ist, gibt es bei diesem Sport am Anfang viel zu lernen. Die Workshops und geführten Touren, die das High Camp anbietet, sind eine perfekte Möglichkeit, um sich mit der Hilfe von erfahrenen Tourengehern ohne Risiko wertvolles Wissen anzueignen.

    Ausrüstung zum Ausprobieren

    © Martin I. Dalen & Brynjar Tvedt

    Fachwissen ist nicht nur bei der Technik oder der Sicherheit am Berg wichtig, sondern auch bei Ausrüstung und Bekleidung. Gerade als Einsteiger fühlt man sich von der riesigen Auswahl mitunter erschlagen und überfordert. Aber auch fortgeschrittene Tourengeher haben oft noch Fragen: Lohnt sich der Umstieg auf ein neues Modell? Welche Vorteile hat X gegenüber Y?

    Zum Abschluss meiner Recherche spreche ich darüber mit Fredrik Lundberg, der bei Norrøna für Forschung, Entwicklung und Design verantwortlich ist. Die norwegische Outdoor-Marke ist schon seit Jahren Sponsor des High Camp, wobei das Engagement weit über das Logo auf der Website oder Fahnen auf dem Festivalgelände hinausgeht.

    „Das Tolle am High Camp ist, dass die Teilnehmer dort Ausrüstung ausleihen und sie genau in der dafür vorgesehenen Umgebung testen können. Statt sich die Produkteigenschaften auf unserer Website oder den Etiketten im Geschäft durchzulesen, können die Leute dort mit Experten reden, die das Produkt in- und auswendig kennen, und es dann selbst ausprobieren.“

    Das ist auch für Inge ein wichtiger Punkt. „Manchmal ist es für den Kunden im Geschäft ziemlich schwer, die einzelnen Produkte voneinander zu unterscheiden. Die Teilnehmer schätzen die Möglichkeit sehr, beim Festival mehr über unsere GORE-TEX Produkte zu erfahren und herauszufinden, welche Materialien für die verschiedenen Bedingungen optimal sind. Nichts geht über diese persönlichen Gespräche!“

    Die besten Produkte, für jedes Leistungsniveau

    © Martin I. Dalen & Brynjar Tvedt

    Fredrik ist selbst begeisterter Skitourengeher und legt jedes Jahr Tausende von Höhenmetern zurück. „Ich gehe meistens nach der Arbeit in der Nähe von Oslo eine Tour mit ungefähr tausend Höhenmetern, bevor ich nach Hause fahre.“ Diese Leidenschaft – und praktische Erfahrung – schlägt natürlich auf den Job durch. Gutes Design entsteht nicht nur am Schreibtisch und die Arbeit hört auch dann nicht auf, wenn das Produkt auf dem Markt ist, erzählt Fredrik.

    „Bei meiner Arbeit denke ich ganz oft mehrere Produktzyklen voraus. Das High Camp ist eine hervorragende Gelegenheit für mich, direktes Feedback von unseren Kunden zu erhalten. Außerdem mag ich es, diese vielen Tourengeher geballt an einem Ort zu erleben. Ich halte Ausschau nach Trends – bei Ausrüstung und Bekleidung – und beobachte genau, was gerade angesagt ist. Das ist für meine Arbeit von unbezahlbarem Wert. Wir arbeiten bei der Produktentwicklung mit einigen der weltbesten Skifahrer zusammen, aber wir machen Produkte für alle, vom Profi bis zum Hobby-Sportler.

    Es ist großartig, an einem Ort mit all diesen verschiedenen Leuten reden zu können – und zu hören, was sie zu sagen haben. Nur so sind wir in der Lage, auch weiterhin die besten Produkte für Skitourengeher zu entwickeln, unabhängig von deren Leistungsniveau.“ Ein herzlicher Empfang Ragnar wartet oben auf dem Gipfel auf mich und lächelt, als er meine nicht gerade elegante Spitzkehre sieht. Eiskristalle haben sich an seinem langen Bart gebildet. Er hat sich bereits eine Hardshell übergezogen, die vor dem eisigen Wind und dem Schneegestöber auf dem Gipfel schützt. Ich ziehe meine nicht mehr ganz taufrische Jacke heraus und bin etwas neidisch auf seine Norrøna-Ausrüstung.

    Wir genießen noch etwas die Aussicht, bevor wir durch den unberührten Pulverschnee abfahren. Nur ein paar Wochen nachdem ich zum ersten Mal überhaupt vom High Camp gehört habe, muss ich zwar noch viel an meiner Technik feilen, aber ich fühle mich trotzdem schon als Teil dieser unglaublich offenen und warmherzigen Community. Diese neue Art die Berge zu erkunden, hat mich völlig in ihren Bann gezogen, und ich lechze schon nach mehr. Mehr Schnee und mehr Ausrüstung ... neuer und besser natürlich. Ich mache mir eine mentale Notiz, mir die Termine für das High Camp 2023 vorzumerken. Spätestens dann will ich nochmal komplett in dieses einzigartige Erlebnis eintauchen, meine Technik verbessern und einige Produkte ausprobieren, bevor ich sie kaufe. Das High Camp Turtagrø 2022 findet vom 5. bis 8. Mai statt, alle verfügbaren Tickets sind bereits verkauft. Weitere Infos findest du auf der High Camp Website (auf Norwegisch).

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    Tom Hill

    Tom Hill ist freier Outdoor-Autor und Redakteur beim Magazin „Sidetracked“. Wenn er nicht am Schreibtisch sitzt, ist er in seinem Hausgebirge in England, den Pennines, oder weiter entfernten Bergen unterwegs. Er ist seit über zehn Jahren als Produkttester tätig und sein persönlicher Outdoor-Kleiderschrank ist prall gefüllt mit Ausrüstung zum Radfahren, Laufen, Klettern und Skifahren.

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