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    TAMARA LUNGER – LIEBE UND AKZEPTANZ INMITTEN DER TRAGÖDIE - Teil 1

    Adam Campbell
    Adam Campbell

    TEIL EINS – EINE FRAU MIT STARKEN WERTEN

     

    Viele gehen in die Berge, um sich selbst zu finden, aber wie genau der Weg dorthin aussieht, ist völlig offen. Manchmal ist er gesäumt von Schönheit und Erfolgen, manchmal von Tragödien. In beiden Fällen können diese Momente uns bis aufs Mark verändern. Die bekannte Bergsteigerin Tamara Lunger aus Südtirol hat die ganze Bandbreite dieser Erfahrungen erlebt, von der Freude, 2010 als jüngste Frau auf dem Gipfel des Lhotse (8.516 m) zu stehen, bis hin zu dem grauenvollen Albtraum, Freunden am Berg bei ihrem letzten Atemzug zur Seite zu stehen. 

    Ich hatte das große Vergnügen, Tamara im Parc Couttet in Chamonix am Fuße des Mont Blanc bei der Arc’teryx Alpine Academy zu treffen. Auf einer kleinen Steinmauer unterhielten wir uns bei einem Bier über ihre Anfänge als Bergsteigerin, ihre letzten Expeditionen und wie sie diese verändert haben.

    Für eine bessere Lesbarkeit ist das Interview in drei Teile aufgeteilt.

     

    Der Interviewer und Tamara gut gelaunt bei einem Bier in Chamonix (Foto: Philipp Reiter)

     
    Tamara, wie bist du zum Bergsport gekommen?

    Mein Vater hat mich zu einer Skitour mitgenommen. Es hat mich lange nicht besonders interessiert, erst mit vierzehn wollte ich es mal ausprobieren. Ich habe mich gleich beim ersten Aufstieg total in diese Sportart verliebt, weil ich mich einfach wahnsinnig gerne verausgabe. Ich war von klein auf immer nur dann zufrieden, wenn ich am Ende des Tages müde ins Bett gefallen bin. Beim Skifahren war das so.

    Zuerst konnte ich aber noch gar nicht Skifahren, ich bin bei der Abfahrt mehr gefallen, als dass ich Bögen gefahren wäre, aber für mich war sofort klar, dass ich Skibergsteigerin werden wollte. Ich habe direkt mit Uphill-Rennen ohne Abfahrt angefangen und mir das Skifahren nach und nach selbst beigebracht. Irgendwann habe ich es dann in die italienische Nationalmannschaft im Skibergsteigen geschafft, aber ich habe schon damals im Hinterkopf immer davon geträumt, einen Achttausender zu besteigen.

     

    Woher kam die Inspiration für die Besteigung von Achttausendern?

    Es gab einen Zeitungsartikel über die italienische Skilangläuferin und Olympiasiegerin Manuela Di Centa. Als ich dort las, dass sie den Everest bestiegen hat, dachte ich sofort: „Das will ich auch einmal machen.“ Mein Idol war Gerlinde Kaltenbrunner, die erste Frau, die alle 14 Achttausender der Erde ohne zusätzlichen Sauerstoff bezwungen hat. Sie bestieg ihren ersten Achttausender mit 23 Jahren, also genau in dem gleichen Alter wie ich, als ich auf meinem ersten Achttausender stand.

     

    Hast du danach direkt mit dem Höhenbergsteigen angefangen? 

    Mein Fokus lag vor allem auf Skitourenrennen, aber in mir spürte ich die Gewissheit, dass ich das irgendwann machen werde, ohne es zu dem Zeitpunkt jedoch voranzutreiben. Ich wusste, dass ich dort oben stehen würde, wenn die Zeit reif ist. Das war etwas, wovon ich jeden Tag geträumt habe.

     

    Was hat schließlich den Ausschlag gegeben?

    Beim Schulabschlussball hatte eine meiner Lehrerinnen ihren Mann dabei, (den berühmten italienischen Alpinisten) Simone Moro. Wir unterhielten uns über seine Hochgebirgs-Expeditionen und ich nahm ihm an dem Abend das Versprechen ab, mich in den Himalaya mitzunehmen.

     

    Das nenne ich mal Glück!

    Ja, aber ich habe danach jahrelang nichts von ihm gehört. Erst als Facebook aufkam, schrieb ich ihm: „Simone, hör mal, wann nimmst du mich jetzt mal in den Himalaya mit?“ Er erinnerte sich an unser Gespräch und antwortete: „Ja, vielleicht kann ich das einrichten, schauen wir mal.“ Am 3. April 2009 war es dann soweit und er sagte mir, dass ich mitkommen könnte. Das war der beste Tag meines Lebens!

     

    Tamara über dem Vallée Blanche in Chamonix (Foto: Philipp Reiter)

     
    Du konntest dir also mithilfe von Facebook deinen Traum erfüllen? Nicht schlecht! Ich weiß, dass du zu dieser Zeit Skitourenrennen gemacht hast – aber warst du auch noch anderweitig im Bergsport aktiv, denn es gibt ja die unterschiedlichsten Disziplinen?

    Ja, ich habe alles gemacht, was man in den Bergen machen kann, Klettern, Skifahren. Ich war immer auf der Suche nach Abenteuern und habe meine Fähigkeiten weiterentwickelt, weil ich immer wusste, wohin ich als Bergsportlerin wollte.

     

    Erzähle mir von deiner ersten Tour mit Simone.

    Ich war 23 Jahre alt, wie mein Idol Gerlinde. Und ich war so aufgeregt. Wir wollten den Cho Oyu besteigen (mit 8.188 m der sechsthöchste Berg der Erde an der Grenze zwischen China und Nepal).

    Um uns zu akklimatisieren, schlugen wir die Zelte im Khumbu Valley am Island Peak auf. Wir schliefen unterhalb des Gipfels und ich hatte die ganze Nacht über schreckliche Kopfschmerzen, aber als ich am nächsten Morgen aus dem Zelt gekrochen bin und das wunderschöne Bergpanorama vor mir hatte, habe ich alle Schmerzen vergessen. Es war einfach unglaublich.

    Aber dann sperrten die Chinesen alle Grenzübergänge, sodass wir den Cho Oyu nicht erreichen konnten. Ich war sehr enttäuscht, aber Simone sagte: „Ich habe vielleicht noch etwas für dich. Du kannst zusammen mit 13 Russen den Lhotse besteigen“ (mit 8.516 m der vierthöchste Berg der Erde im Everest-Massiv).

     

    Warte, was? Eine 23-Jährige soll zusammen mit 13 unbekannten Russen einen Berg besteigen? Das ist verrückt. War Simone mit dabei?

    Ja, aber er war mit einem Klienten da, weshalb er nicht mit mir geklettert ist. Ich sollte mich den Russen anschließen, war am Ende aber doch mit Simone Moro im Basislager. Ich war zwar auf meiner eigenen Expedition, die auf einen anderen Berg ging (sie wollten auf den Mount Everest), aber immerhin waren wir im Basislager zusammen. Das machte mich natürlich sehr glücklich. Ich war bis dahin noch nie auf über 5.000 m gewesen.

     

    Wie war diese erste Höhenerfahrung auf dem Lhotse für dich?

    Es war sehr intensiv. Einer der Russen ist gestorben und ich musste bei meiner Gipfelbesteigung an seinem toten Körper vorbei.  Das war meine erste Begegnung mit dem Tod am Berg.

    Gleichzeitig war ich auch enttäuscht, weil ich bis dahin in den Bergen immer ein Gefühl der Freundschaft erlebt hatte, aber dort war es eine ganz andere Geschichte. Es gab Kämpfe zwischen den Teams, Sauerstoff wurde gestohlen, es gab viel Eifersucht. Das hat einen üblen Beigeschmack hinterlassen.

     

    Tamara über dem Vallée Blanche in Chamonix (Foto: Philipp Reiter)

     
    Hast du es auf den Gipfel geschafft?

    Ja, ich bin auf dem Gipfel des Lhotse gestanden, aber ich habe Sauerstoff gebraucht. Das hat mich schwer enttäuscht, weil ich es wirklich ohne schaffen wollte, aber Simone hatte mir ans Herz gelegt, die Flasche mitzunehmen, weil man nie weiß, wie der Körper reagiert. Auf über 8.000 m hatte ich so stark mit der Kälte zu kämpfen, dass ich die Flasche anschloss, aber nach einer Weile kam die Sonne heraus und dann brauchte ich den Sauerstoff nicht mehr. Ich nahm meine Maske also wieder ab, weil es mich wahnsinnig gestresst hat. Ich fühlte mich damit richtig klaustrophobisch und habe mich sehr geärgert, dass ich sie überhaupt angelegt hatte, weil ich es ja unbedingt ohne schaffen wollte. Aber gleichzeitig hat sie mir auch geholfen, mich zu konzentrieren. Ich hatte am Ende nur ein paar Blasen.

     

    Was auf alle Fälle besser ist, als deine Zehen oder sogar dein Leben zu verlieren!

    Ja! Das Erlebnis war auch wichtig für mich, um zu verstehen, welche Art des Bergsteigens für mich die richtige ist.

     

    Und welche Art ist das?

    Meine Art ist ohne Sauerstoff und ohne Hilfe über dem Basislager. Nach einigen weiteren Expeditionen bestieg ich 2014 zusammen mit Simone den K2 (mit 8.611 m der zweithöchste Berg der Erde in Pakistan) – ohne Sauerstoff. Danach fragte er mich, ob wir mal eine Winterbesteigung zusammen machen wollen.  Ich habe mich da oben so gut und stark gefühlt, dass ich sofort zugesagt habe. 2015 ging es dann also im Winter los und danach machte ich nur noch Winterbesteigungen, weil die Menschenmassen auf den Normalrouten nicht so meine Sache waren. Ich bin eine Frau mit klaren Werten. Die sind mir wirklich sehr wichtig!

     

     
    Woher hast du diese Werte?

    Mein Glaube an Gott ist sehr stark. Vielleicht weil das bei uns zu Hause eine wichtige Rolle gespielt hat. Außerdem bin ich aus Südtirol. Unsere Traditionen und unsere Kultur haben meine Wertvorstellungen geprägt. Meine Werte geben mir Halt, und wenn jemand dagegen handelt, dann stört mich das.

     

    Konntest du Bergerlebnisse finden, die besser zu deinen Werten passen?

    Ja. Nach ein paar Expeditionen war ich durch das, was ich auf den 8.000er-Normalrouten gesehen hatte, ziemlich desillusioniert, aber dann hat mich Simone 2015 im Winter mit auf den Manaslu (mit 8.163 m der achthöchste Berg der Erde in Nepal) genommen.  Ich liebte es, nur wir beide. Wir kamen leicht und schnell voran und waren praktisch ganz allein auf dem Berg.

     

    Das klingt ziemlich magisch. Wart ihr erfolgreich? 

    Nein, wir haben es nicht auf den Gipfel geschafft. In nur einer Woche fielen sechs Meter Neuschnee. Wir schafften es bis auf etwa 6.400 m, aber dann war Schluss. Wir mussten uns von einem Hubschrauber abholen lassen, weil wir feststeckten. Der Weg zurück war zu.

     

    Die Hauptsache ist, dass ihr es wohlbehalten nach unten geschafft habt. Hast du dich danach noch an weiteren Winterbesteigungen versucht?

    Nein, im Jahr danach unternahm ich keine Winterversuche. Stattdessen ging es auf den Kangchendzönga (mit 8.586 m der dritthöchste Berg der Erde), um die Traverse der vier 8.000er-Gipfel des Gebirgsmassivs zu versuchen, die über eine neue Route zur Gratschneide führte. Es war ein sehr ambitioniertes Projekt, aber auf 7.200 m mussten wir aufgeben, weil Simone Probleme hatte und außerdem zweimal geträumt hatte, dass er meinen Eltern erzählen musste, dass ich auf der Route gestorben wäre. Wir werteten das als Zeichen nicht weiterzugehen, und stiegen vorsichtshalber wieder ab.

     

    Was glaubst du, hat Simone in dir gesehen? Warum hat er dich immer wieder gefragt, ob du mitkommen möchtest? Er hätte viele Partner auswählen können, also was glaubst du, zeichnet dich aus? 

    Wir sind uns sehr ähnlich.  Wir sind ein so gutes Team, weil wir nicht viel miteinander reden müssen. Wir wissen immer genau, was der andere denkt. Ich habe ihn immer sehr respektiert, weil er so unglaublich viel Erfahrung hat. Manchmal sagte ich: „Simone, wir müssen los!“, und er darauf: „Heute müssen wir mit dem Kopf und nicht mit dem Herzen klettern.“ Irgendwann bin ich dann von seiner Schülerin zu seiner Seilpartnerin geworden.  Er meinte zu mir: „Ich weiß, dass du mich wieder herunterbringen kannst und alles tun wirst, um mein Leben zu retten, falls ich Hilfe brauche.“ Das zu hören, war unglaublich.

     

    Das ist wirklich interessant. Der amerikanische Alpinist Steve Swenson hat mal gesagt, dass das Wichtigste in einer Seilschaft in den Bergen die Liebe ist. Das stimmt wohl, weil dein Partner sich um dein Leben genauso sorgen muss, wie um sein eigenes.

    Ich sage immer, dass es intensiver ist als eine Ehe, weil man zusammen für eine Sache brennt. Und wenn dann jemand etwas an sich hat, das du nicht magst, dann wird es unmöglich, dann willst du einfach nur heim. Mit Simone war es immer super. Wir haben das gleiche Tempo, wir wissen, wer welche Rolle hat, und so ist alles immer schnell erledigt. Ich hatte großes Glück, einen Partner wie ihn zu finden, das ist alles andere als selbstverständlich. Wenn man so gut zusammenarbeiten kann, dann ist das ein ganz besonderes Gefühl.

     

    Das ist mit Sicherheit etwas Besonderes! Wie konntest du all deine Expeditionen eigentlich finanziell stemmen?

    Um ehrlich zu sein, habe ich Gott gefragt. Meine erste Expedition hatte ich zugesagt, ohne zu wissen, wie ich das bezahlen sollte, also sagte ich: „Lieber Gott, ich brauche das Geld dafür. Bitte schick es mir irgendwie.“ Und das tat er. Schon seit ich ein kleines Kind war, hatte ich immer den festen Glauben, dass ich das, was ich mit ganzem Herzen will, auch bekommen würde. Dieser Glaube war immer sehr stark in mir. Simone hat mir geholfen. Er stellte mich seinen Sponsoren vor und von da an entwickelte es sich weiter. Ich hielt Vorträge und machte andere Sachen. Das lief alles sehr gut.

     

    Ich habe großen Respekt vor Menschen, die einen Weg finden, ihre Ziele zu erreichen. Du sagst erst Ja und überlegst dir dann, wie du es schaffen kannst. Das hat nicht jeder in sich. Wenn etwas beängstigend und schwierig ist, dann ist es oft viel leichter, sich mit Ausreden herauszuwinden. Wie ging es dann weiter?

    Simone fragte mich, ob wir zusammen den „Kältesten Berg der Welt“, den Gora Pobeda in Sibirien, versuchen wollen. Zuerst sagte ich ihm: „Nein, geh allein zum Sterben“, aber schlussendlich überzeugte er mich und wir schafften es erfolgreich auf den Gipfel.

     

    Möchtest du wissen wie es weiter geht? Dann lies jetzt den zweiten Teil des Artikels!
     

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